Ich leide seit Anfang 2016 an größtenteils schwerer Depression, seit 07.01.2020 bin ich krankgeschrieben, seit 01.12.2022 in Rente. Zeit für eine zweite Krankmeldung.
Ich möchte mich krankmelden. Zu aller erst vor mir selbst. Dann vor der Deutschen Rentenversicherung und dem Sozialamt. Schließlich vor meinem Vater und anderen Kritikern.
Meine Diagnosen sind eine schwere chronifizierte Depression, eine Zwanghafte Persönlichkeitsstörung und ADHS. Verdachtsweise ist von Complexer Posttraumatischer Belastungsstörung und einer Angststörung gesprochen worden. Meine tägliche Leistungsfähigkeit liegt bei ein bis zwei Stunden. Das schließt auch vermeindlich banale Haushaltstätigkeiten mit ein. Wenn ich das überschreite, geht es mir richtig dreckig.
Es kostet mich eine Menge Überwindung, diese zweite Krankmeldung zu schreiben. Das hat zwei Gründe:
- Zum Einen habe ich mein Leben lang vermittelt bekommen, dass nicht das zählt, wie es mir geht, sondern nur meine Leistung. Ich schätze also meine eigene Krankheit bzw. meine Bedürfnisse gering. Über die Diagnosen im vorherigen Absatz denke ich im Augenblick beispielsweise, dass das doch nicht alles sein kann – und wenn doch, dass ich ja mal wieder was leisten sollte.
- Zum Anderen denke ich, wann immer ich gerade mal nicht auf dem Zahnfleisch liege, dass ich wieder so viel leisten kann, wie zu den besten (schlechtesten) Zeiten.
Wenn ich mich überanstrenge (wie jetzt beim Schreiben dieser Krankmeldung), fange ich an zu zittern. Ich bekomme Magenschmerzen. Wenn ich mich dabei bewege, wird mir schwindelig bzw. ich habe das Gefühl, mein Kreislauf haut ab. Meine Denkfähigkeit tendiert Richtung Toastbrot. Ich bekomme Enge bzw. einen Druck in der Brust, der so stark werden kann, dass es richtig wehtut. Hinzu kommt das Gefühl, gleich weinen zu müssen, das so heftig werden kann, dass es mich würgt. Das führt direkt in einen Zustand, in welchem jeder sinnliche Reiz für mich überfordernd ist. Parallel gerate ich in hoffnungslose Gedankenspiralen und Selbsthass.
Wie macht man nichts?
Das geht jeden Tag so auf und ab: Irgendwann habe ich vielleicht einen besseren Moment, in welchem ich mich schnell übernehme – und dann geht es wieder bergab. Andererseits reicht es zur völligen Erschöpfung in der Regel auch schon, zu viele Videos anzusehen oder zu lange mit Menschen zu kommunizieren. Dasselbe gilt dafür, draußen zu Fuß oder in Verkehrsmitteln unterwegs zu sein.
Die Hauptfrage ist dabei: Was kann ich überhaupt tun, wenn Dinge, die man eigentlich zur Entspannung macht, schon zu Erschöpfung führen? Ich habe da keine Antwort.
Vielfach ist mir dazu gratuliert worden, dass ich endlich wieder schreibe (hier, hier und hier) sowie fotografiere (hier). Ja, das ist gut. Ich war es leid, mir das zu verkneifen. Ich brauche einfach irgendwas mit Gehalt, um nicht wahnsinnig zu werden. Leider heißt das nicht, dass es mir besser geht, sondern nur, dass ich es trotzdem mache. Und es heißt, dass es mir danach meist richtig schlecht geht. Und viel rum kommt dabei nicht.
Diese Woche habe ich einem Freund einmalig für zwei Stunden geholfen. Die Folge war das volle Symptompaket. Wir hatten das in gemeinsamem Einverständnis als Test formuliert. Nun, der Test war erfolgreich. Sein Ergebnis ist: Es geht nicht. Es ist einfach zu viel. Ich muss das endlich lernen: Ich kann all diese Sachen nicht mehr machen.
Bezogen auf die zwei oben genannten Gründe, warum ich mich mit dieser Krankmeldung schwer tue, bedeutet das:
- Es wird weiterhin schwer sein, anderen zu vermitteln, dass ich wirklich so sehr krank bin, dass nichts mehr geht, obwohl man mir natürlich nichts ansieht.* Aber ich muss es mir wenigstens selbst glauben, statt mein Leiden permanent kleinzureden.**
- Ich muss lernen, wie richtiges Pacing geht: Das heißt, ich darf mir nur noch so kleine und so wenige Schritte vornehmen, wie ich tatsächlich bewältigen kann. Und von dem, was ich denke, dass ich machen kann, darf ich mir nur die Hälfte vornehmen.
Ja, das war eigentlich schon alles, was ich sagen wollte: Ich bin viel kränker, als ich denke. Zeit, das mal zu akzeptieren.
* Manchmal werde ich gefragt, ob ich wirklich nie wieder arbeiten will. Das geht an der Sache vorbei. Die Krankheit fragt mich nicht, was ich will. Sie sagt mir, was ich kann.
** Dazu fällt mir ein: Wenn ich gefragt werde, wie es mir geht, antworte ich mit zwei Sätzen. Im ersten sage ich, wie es mir geht. Im zweiten sage ich etwas Optimistisches. Ich mache das, um niemanden damit zu belasten, wie es mir wirklich geht. Es ist ein Beispiel dafür, wie ich relativiere, wie es mir geht.